Gedanken von Barbara Stettler und Gabor Rossmann

Es gibt viele Gründe eine Unternehmensberatung zu kontaktieren. Anhand bestimmter Symptome werden Defizite wahrgenommen: Die Umsätze sind beispielsweise zurückgegangen oder bei einer Beschäftigtenbefragung ist eine hohe Unzufriedenheit mit der Führung festgestellt worden. Es kann auch sein, dass eine Transformation auf Grund äußerer Faktoren notwendig geworden ist, weil die Digitalisierungswelle den Wettbewerbsdruck erhöht hat oder die gesellschaftlichen Erwartungen mehr Nachhaltigkeit erfordern.

Die meisten Menschen und Unternehmen tun sich allerdings schwer mit Veränderung. Warum ist das so? Welche Annahmen leiten uns unbewusst? Eine Erklärung sehen wir im weit verbreiteten Missverständnis, dass wir dann am besten leben, wenn wir versuchen allem Schmerz und Leid auszuweichen und es uns so angenehm wie möglich zu machen. Dazu passt das in unserer Kultur verankerte Maschinenparadigma. In dieser Weltsicht ist Veränderung kein fließendes emergentes (1) Phänomen, sondern eine Linie von A nach B, von einem statischen Zustand in den andern statischen Zustand. Und statische Systeme haben keine innere Fähigkeit zur Veränderung. In dieser Weltsicht ist Veränderung nicht willkommen, sondern lästig, eine unangenehme Notwendigkeit. Frederic Laloux sagt dazu, dass wir in dieser Weltsicht den Bedarf an Veränderung klein halten, indem wir die Zukunft vorhersagen und kontrollieren wollen. Wir versuchten, die Überraschungen aus den Veränderungsprozessen heraus zu planen.

Unternehmenskultur ist die Musik, die niemand hört, zu der dennoch alle tanzen.

Unabhängig von den Gründen nach einer Veränderung oder Transformation erleben wir Berater:innen deshalb häufig ein bestimmtes Muster bei Anfragen von Kund:innen. Dieses würden wir ungefähr so beschreiben: Die Kund:innen benennen kurz ein Problem, beschreiben sogleich einen Lösungsprozess und fragen, ob wir diesen Prozess umsetzen möchten. Falls wir der Umsetzung zustimmen, wird anschließend noch um ein Angebot mit Kostenvoranschlag gebeten. Manchmal gelingt es uns, die „Auftragsklärung“ etwas zu vertiefen. Das resultiert meistens darin dass wir die geplante Lösung der Kund:innen besser verstehen oder bestenfalls die Lösung etwas modifizieren. Versuche unsererseits, die Lösung oder das von den Kund:innen benannte Problem zu reflektieren und eventuell eine gänzlich andere Vorgehensweise ins Auge zu fassen, schlagen häufig fehl. Wir haben dafür auch Verständnis. Denn natürlich gab es innerhalb des Unternehmens im Vorfeld bereits viele Meetings und Diskussionen. Erfahrene Köpfe haben sich bereits viele Gedanken zur Lösung der Probleme gemacht. Es sind Entscheidungen – nicht selten in einem langwierigen Prozess – gefallen. Davon wieder abzurücken, fällt schwer.

Aus diesem Muster folgt im Nachhinein vielfach die Erkenntnis, dass entweder das Problem nur ein Symptom war und das dahinter liegende Problem übersehen wurde. Oder dass der gewünschte und geplante Lösungsweg zur Transformation nicht wirklich zum Ziel führte.

Was wir als Unternehmensberatung uns wünschen, ist eher eine gemeinsame und schrittweise „Auftragskonstruktion“. Denn eine Veränderung bzw. eine Transformation in einem Unternehmen geht mit komplexen Prozessen in einem komplexen sozialen System einher. Und komplexe Systeme haben besondere Eigenschaften: Sie bestehen aus vielen Einzelelementen, die dynamisch miteinander vernetzt sind und somit diverse Wechselwirkungen erzeugen. Komplexe Systeme emergieren. Sie sind nicht-linear und nicht-kausal. Eine Reduktion in die Einzelelemente führt zu keinem Systemverständnis. Somit sind komplexe Systeme unvorhersehbar, unkontrollierbar und nicht planbar. Man bewegt sich in einem Raum des Nicht-Wissens. In einem komplexen System kann man nichts bewirken, höchsten etwas ermöglichen. Donella Meadows (2) drückte es perfekt aus:

We can’t control complex systems or figure them out. But we can dance with them!

Unter einem Prozess der „Auftragskonstruktion“ verstehen wir ein schrittweises Annähern an einen wirksamen Lösungsweg, der wiederum ein Prozess ist. Und ein Prozess in einem komplexen System ist wie ein Tanz: es gibt Momente des Beobachtens, des Wahrnehmens, des Erkundens, des Spürens und des Fühlens. Dann gibt es Momente des Rückzugs, der Stille, der Reflexion, des Loslassens alter Muster und des Kommenlassens zukünftiger Möglichkeiten. Und schließlich gibt es Momente der Aktivität, des Experimentierens und der Entscheidungen. Deshalb die Bitte an unsere Kund:innen:

Kontaktieren Sie uns etwas früher und lassen Sie uns mehr gemeinsam „tanzen“​.

(1) „emergent“ (von „Emergenz“) ist die spontane Herausbildung von Phänomenen oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems auf der Grundlage des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht offensichtlich auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen.

(2) „Thinking in Systems“. 2015. Donella H. Meadows. Deutsche Ausgabe 2019. „Die Grenzen des Denkens. Wie wir sie mit System erkennen und überwinden können.“

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