Viele Defizite, Probleme oder Konflikte in Organisationen werden „personifiziert“, d.h. man sucht nach „Schuldigen“. Allerdings besagt die Systemtheorie nach Niklas Luhmann im Kern, dass Organisationen gar nicht aus Menschen bestehen, sondern aus Interaktionsmustern, also aus Verhaltens- und Kommunikationsereignissen. Diese Interaktionsmuster folgen einerseits formalen Regeln und Vereinbarungen, die von der Organisation bewusst entschieden worden sind. Andererseits spielen aber auch unbewusste, nicht entschiedene und nicht-reflektierte informelle Regeln eine große Rolle. Diese unbewussten Regeln, die unbemerkt über die Zeit entstanden sind, bestimmen die Unternehmenskultur. Und:

Unternehmenskultur ist die Musik, die niemand hört,
zu der dennoch alle tanzen.

Dabei spielt es kaum eine Rolle, dass Mitarbeiter*innen gehen oder neue hinzukommen. Die unbewussten Regeln und die damitt verbundenen Verhaltenserwartungen bleiben: „Die menschen kommen und gehen, der Geist bleibt.“

Manche dieser unbewussten Regeln sind für die Wertschöpfung bzw. Organisationszwecke nützlich, manche hingegen eher hinderlich. So macht es Sinn als Führungskraft, als Abteilung oder als Team, sich mal über die unbewussten Regeln Gedanken zu machen.

Es ist nicht ganz leicht, die unbewussten Regeln zu identifizieren. Der beste Weg ist, die Verhaltens- und Kommunikationsmuster der Führungskräfte und Mitarbeiter*innen zu beobachten und Hypothesen zu bilden, welche unbewussten Regeln dahinterstecken könnten. Ist man sich einer unbewussten Regel sicher, stellt sich als nächstes die Frage, ob die Regel nützlich oder hinderlich für die Wertschöpfung ist.

Manchmal stecken formale Management-Praktiken hinter den unbewussten Regeln. Beispielsweise kann man in einer Organisation unter Umständen beobachten, dass auffällig wenig Wertschätzung und Anerkennung bei den Beschäftigten praktiziert wird. Die unbewusste Regel könnte lauten „Bei uns darf nicht zu viel gelobt werden.“ Die Management-Praktik, als Ursache, wäre ein formales Beurteilungssystem, das bei zu viel Wertschätzung unkontrollierbare Erwartungen und Wettbewerb unter den Mitarbeiter*innen wecken könnte. Der Nachteil dieser unbewussten Regel ist, dass Wertschätzung als Motivation wegfällt. Der Nachteil der Management-Praktik ist, dass das formale Beurteilungssystem manchmal mehr im Fokus steht als die Wertschöpfung.

Zusammenfassend empfehlen wir, mehr über unbewusste Regeln nachzudenken. Eine solche Reflexion ist sehr konstruktiv, denn bei auftretenden Defiziten, Problemen oder Konflikten stehen Interaktionsmuster und die unbewussten Regeln im Fokus und nicht einzelne Personen. Niemand wird an den Pranger gestellt und die psychologische Sicherheit ist gewahrt.

In der Regel macht es sogar Spaß, als Abteilung oder als Team diese Reflexion mit folgenden Schritten anzugehen:

  1. Muster beobachten: Welche Verhaltens- und Kommunikationsmuster beobachte/n ich/wir?
  2. Hypothesen bilden: Welche unbewussten Regeln stecken dahinter?
  3. Management-Praktiken: Welche formellen Praktiken triggern diese Regeln?
  4. Regel reflektieren: Sind diese Regeln eher nützlich oder eher hinderlich für die Wertschöpfung?
  5. Interventionen: Wie können wir die hinderlichen und unbewussten Regeln abschaffen oder verändern? Wie können wir uns von den hinderlichen Management-Praktiken verabschieden?