Neulich war ich mit einem unserer Kunden essen. Er erzählte, dass er auf unserer neuen Webseite war. Er fragte mich aus welchem Grund wir Organisationsentwicklung und Personalentwicklung trennen. Ob es überhaupt möglich ist, Organisationsentwicklung ohne Personalentwicklung zu betreiben.
Ich erwiderte, dass bei uns die Trennung erstmal den banalen Hintergrund hatte, unsere Webseite zu strukturieren. Darüber hinaus gibt es tatsächlich keine klare Trennung zwischen beiden Bereichen. Das liegt allein schon daran, dass ca. 50 Definitionen von Organisationsentwicklung gefunden wurden (siehe Karsten Trebesch in „Organisationsentwicklung“, 2000). Bei der Personalentwicklung sieht es auch nicht viel besser aus. Also ist es ein bisschen müßig, die gestellten Fragen vollständig klären zu wollen. Zumal ich auch nicht zu den Wortklaubern gehöre.
Trotzdem finde ich einige Aspekte aus der systemischen Perspektive wichtig. Denn diese Perspektive erklärt einen wesentlichen Unterschied zwischen Organisationsentwicklung und Personalentwicklung. Organisationen sind soziale Systeme. Sie bestehen aus einzelnen Elementen (Menschen, wie Führungskräfte und Mitarbeiter*innen), die miteinander interagieren. Vereinfacht würde ich sagen Personalentwicklung hat primär die Menschen als Individuen im Fokus und Organisationsentwicklung primär die Interaktionen zwischen ihnen.
Meiner Erfahrung nach werden die Interaktionen in Unternehmen häufig vernachlässigt. Der Fokus liegt primär auf den Beschäftigten. Somit werden Personalentwicklungsmaßnahmen angestoßen, die dann zu wenig Wirkung zeigen. Die Organisationen neigen zum „Personalisieren“ von Problemen. Zum Beispiel wird eine Projektleitung in ein Coaching entsandt und trotzdem bleiben die wahrgenommenen Konflikte bestehen. Oder aufgrund einer Befragung werden Führungsdefizite erkennbar und die Führungskräfte dann auf Seminaren geschult. Allerdings wird das Gelernte im Führungsalltag nicht angewendet. D.h. die personalisierten Probleme waren nur Symptome und nur scheinbar die wirkliche Ursache für etwas. Vielleicht waren die Projektleitung oder die Führungskräfte nur „Symptomträger*innen“.
„A system is not the sum of the behavior of its parts, it’s a product of their interactions.“
Dr. Russell Ackoff
Meiner Meinung nach lohnt es sich, mehr Organisationsentwicklung zu wagen, d.h. sich mit den Interaktionen und den dahinter liegenden Ursachen zu beschäftigen. Zum tieferen Verständnis von Interaktionen ist ein Eisbergmodell hilfreich. Ausgangspunkt ist in der Regel ein Ereignis mit einer problematischen Interaktion. Bei einfacheren problematischen Situationen genügt eine spontane lösungsorientierte Reaktion. Aber bei immer wieder kehrenden problematischen Ereignissen muss weiter und tiefer gegangen werden:
- Welche Interaktionsmuster können wir erkennen?
- Welche Strukturen und Praktiken triggern diese Muster?
- Welche mentalen Modelle sind die Grundlagen für die Strukturen und Praktiken
Das heißt:
In der Regel passiert ein Ereignis, in dem unerwünschtes Verhalten beobachtet wird. Wird dieses Ereignis reflektiert, stellt man fest, dass sich dieses Verhalten häufig wiederholt, vielleicht sogar durch verschiedene Personen. Das Verhalten zeigt sich als Muster. Beispielsweise wenn einige Führungskräfte scheinbar Führungsdefizite aufweisen, z.B. den Mitarbeiter*innen zu wenig Anerkennung zu kommen lassen, zu wenig alltäglichen Kontakt haben. Neben einem Führungsseminar macht es Sinn, nach weiteren Ursachen zu forschen und sich die Strukturen und Praktiken anzuschauen. Beispielsweise könnte die Ursache in den formalisierten Jahresgesprächen liegen. Das Jahresgespräch verführt die Führungskräfte, auf den alltäglichen und überfachlichen, „natürlichen Dialog“ zu verzichten. Hinter diesen Strukturen und Praktiken stehen wiederum mentale Modelle des Unternehmens. Zum Beispiel der Glaubenssatz, man müsste die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*innen formalisieren und kontrollieren, z.B. durch Jahresgespräche mit Leitfaden und Unterschrift, etc.
Im Übrigen können sich diese unternehmerischen Glaubenssätze von den individuellen persönlichen Glaubenssätzen vollkommen unterscheiden. Einer Führungskraft würde es nie im Leben einfallen, mit der Tochter ein formalisiertes Jahresgespräch zu führen.
Als Berater*innen verbinden wir mit dieser systemischen Perspektive ein Anliegen an unsere Kundinnen und Kunden: Die Chance tiefer zu den wirklichen Ursachen tauchen zu dürfen. Also keine allzu schnellen Lösungsvorschläge und mehr Raum, Zeit und Ruhe für eine prozesshafte Auftragsklärung.